...die Gruppe Poesie:

 

Poesie, was ist das?

 

Von Barbara Macherius

 

Wir nennen die Dichtkunst Poesie, insbesondere die Versdichtung, aber auch die Verzauberung, die eine Landschaft, eine Abendstimmung oder ein besonderer Augenblick auslösen können.

Man sagt, uns ginge Poesie mehr und mehr verloren. Halten wir in der heutigen Zeit nichts mehr von „flüchtigem Zauber“? Schlagen wir uns lieber auf „die sichere, kalkulierbare Seite“?

Und doch gibt es die Poesie, sie erwartet uns überall, wir könnten ihr täglich begegnen, versuchen, sie zu ergründen und würden, wie so viele vor uns, auf jede Frage eine neue Frage oder eine weitere unzulängliche Antwort finden. Zugegeben, das ist zumindest anfangs anstrengend. Sie macht es uns nicht leicht, die Poesie. Sie lässt sich nicht einfach im Vorbeigehen in die Tasche stecken und abends in der Mikrowelle aufwärmen. Wir müssen uns schon zu ihr ins Gras hinabbeugen und „hallo“ sagen, ihr Raum geben in uns, ihr nachschauen, wenn sie wenig später himmelwärts davonfliegt oder mit einem atemberaubenden Hüftschwung um die nächste Ecke verschwindet.

Vielleicht ist Poesie ja die verwunschene Zwillingsschwester der Liebe! Und jeder von uns könnte der Prinz sein, den sie wach küsst, wenn wir nur dies Quäntchen Mut besäßen, ihr in ein blühendes Rapsfeld zu folgen! Sie würde uns sicher auslachen, wenn wir dann begännen, die Rapsblüten zu zählen: 30 Blüten je Rispe, 10 Rispen je Pflanze und das Feld wogend gelb bis zum Horizont.

Doch unmittelbar nach diesem Lachen würde sie uns durch einen einzigen Blick, all das verstehen lassen, was wir bisher nie begreifen konnten, würde uns in die Arme nehmen und hineinblühen mit uns in dies Feld ohne Zahl mit seinem maßlosen Zwischenraum - Rapsduft bis unter die Haut auf Augenhöhe. Und später dann, auf dem Nachhauseweg, würden wir uns nicht den Blütenstaub von Shirt und Hose klopfen und wir würden dem Pflasterstein zunicken, auf dem sie stand, als wir der Poesie erstmals begegneten.

Jemand, der Angst hat, einen anderen zu berühren, sich berühren zu lassen, berührt zu sein, mag Poesie anzweifeln, sie ausgesprochen cool zum Kitsch werfen und sie heimlich ersehnen, denn es gibt Tage, da ahnt er, was er nicht weiß: Poesie ist alles, was uns menschlicher macht und was uns als Menschen zu tun gibt. Sie ist Haut und Häutung, Einklang und Frucht, Verwandlung, Ohnmacht, manchmal auch Flucht, ein imaginäres Geländer vielleicht, ein rettendes Wort und sie ist ...

 

unwiderlegbar.

 

Poesie fängt mit etwas Unerwartetem an, wir können ihre Schwingungen spüren:

zwischen Himmel, Meer, Sand, Bergen und Blühen ist sie unser Erstaunen, zwischen Menschen, Blicken,Worten, den Zeilen eines Gedichts trifft uns ihre treibende Kraft und in unserem Entsetzen, Erstarren wird sie für uns nahezu körperlich erfahrbar durch ihre Abwesenheit.

Doch sie verbirgt sich vielleicht schon in einem ersten zaghaften Zorn und dessen beharrlich keimendem Trotz oder "Gerade Deshalb", das losläuft und nachschaut, „was sich bewegt“ „in dürren Zeiten“, wenn sich nichts einstellen will und wir von Hilf-, Hoffnungs- und Orientierungs-Losigkeiten gelähmt sind.

Farblos streunt Poesie dann umher, wenn Menschen sich in gewaltsamen Wirklichkeiten nicht mehr zurechtfinden, sich vergessen, verlieren in Kriegen und Terror zwischen Toten und Bränden, Armut und Glimmer und diesem penetranten globalen Dschungelgeräusch, das sie von ihrem Menschsein so weit entfernt, dass Poesie nicht mehr möglich scheint.

Zum Glück bewahren, halten wir Poesie in unseren Träumen, Bildern, in Gedichten, Musik fest, so dass sie immer wieder plötzlich und unbeirrt auftaucht... gerade in zerstörten Räumen -

 

               wenn ein Mensch, nur einer von vielen,

               seinen scheinbar unmöglichen Traum weiterträumt, weiterreicht,

               wenn einer, nur einer von vielen, die Lächerlichkeit, Gedichte zu schreiben,

               weniger beunruhigend findet als das Fehlen eines Gedichts

               oder wenn zwei, nur zwei Hand in Hand irgendwohin aufbrechen.