Christa Eschmann


Studium der Musik in Hannover und Bremen. Konzerttätigkeit, Uraufführungen und
spartenübergreifende Veranstaltungen. 13 Jahre Vorsitzende der Privaten Musikschule Celle, e.V.
Einladungen u.a. nach Japan und Korea. Seit 1989 Dozentin für Querflöte an der Universität
Hildesheim. Daneben literarische Arbeiten. Forschung über die Malerin Caroline Bardua (1781-
1863). Intensive Beschäftigung mit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Veröffentlichungen von Erzählungen, Essays und einem Roman über die Schwestern Bardua. Seit 2005 Mitglied der Gruppe Poesie, Vorstandsmitglied im Hannoverschen Künstlerverein. Synästhetikerin.


Tango - me tangere
I
Ich falle aus meiner Mitte an deine Schulter.
Du fällst aus deiner Mitte an meine Schulter.
Wange schmiegt sich an Wange.
So lange wir einander haben
wird keiner fallen.
Gib mir die Richtung, Bruder,
mit deiner Schulter an meiner Schulter.
Unsere Wangen sind warm.
Unsere Hände ohne Waffen.
Unsere Füße haben kein böses Ziel.
Sie malen die Musik auf den Boden
wie schwingende Pinsel:
Nach vorn, nach hinten,
nach rechts und nach links.
Der Boden ist eine schmutzige Leinwand,
die wir übermalen
mit den schönsten Arabesken.
Bruder, - Leidensbruder!
Aus welchem Land kommst du?
Mit welcher Sprache sprichst du?
Wir tanzen den Tango der
Ausgebeuteten und Heimwehkranken.
Wir angestrandeten Existenzen!
Lass uns die Schultern aneinander drücken
damit niemand fällt.
Wenigstens für die Länge dieses Tanzes.
Tango - me tangere.
So lange wir einander haben
wird keiner fallen.
Tango me tangere
II
Bruder, - Leidensbruder,
bist du Christ oder Moslem?
Orthodoxer oder Nachkomme eines Schamanen?
Egal, - wir sind alle wurzellos im neuen Land.
Du hast deinen Freund in der Wüste gelassen.
Mein Kumpel ist im Meer ertrunken.
Auch ich hatte zu wenig Wasser und Brot auf der Reise.
Wie du, Bruder.
Nachts wälzen wir uns schlaflos
in unseren schäbigen Betten
mit einer Plastiktüte unter dem Kopf.
Hörst du das Stöhnen?
In jeder Brust liegt die Sehnsucht
schwer wie ein Stein.
Die Apfelsinen hängen zu hoch für uns.
Wir atmen Pestizide
und trinken brackiges Wasser.
Lass uns tanzen, Bruder!
Eine leere Blechdose für den Rhythmus
und der Gesang unserer Dörfer auf den Lippen.
Was für schöne Melodien du kennst!
Mit dem Schwung unserer Hüften
verlangen wir nach unseren Frauen.
Unsere Füße liebkosen den Boden
der Baracke wie ihre Haut.
Worin unterscheiden wir uns denn, Bruder?
Unsere Träume sind salzig.
Unsere Ohnmacht ein Geschwür im Bauch.
Unsere Scham sitzt in jeder Pore.
Lass uns tanzen, Bruder!
Über deine dürre Steppe und meinen steinigen Acker.
Deine Ziegen klopfen mit den Hufen den Takt.
Riechst du den Duft meines Kräutergärtchens?
Tanzen wir uns frei von unseren Schuldgefühlen.
Los, schlage den Rhythmus,
damit sich die Zukunft bewegt!

 


Grau-blaue Taube (für Roland)


Dein Skelett ist ein fragiles Zusammenspiel ineinandergefügter Befürchtungen.
Wärst du ein Vogel könntest du fliegen,
so leicht bist du geworden.


Grau – blaue Taube


In deinen Augen nistet das Staunen eines fünfzigjährigen Kindes.
Deine Brauen brüten über Erinnerungen an das vorige Jahr.


Du richtest deinen Oberkörper auf den Sammelplatz der Selbstbedienungsdelikatessen.
Deine Hände flattern in Begehren.


Hinter deinen Lippen schürzt sich dein Trotz gegen die Endlichkeit.
Du pickst wie ein Vögelchen Korn um Korn.
Keine Mahlzeit gibt dir die Erdenschwere zurück.


Du trippelst nur von Verheißung zu Verheißung.

 


Synästhesien


Ein gelbes Gedicht:
Wisst ihr wie im lieblichen Wiesengrün
die Bienen fliegen heiter
im Wind hin und her und mit Ungestüm
zu mir, die ich sitz auf der Leiter?
Im frischen Wind ein Bienenkind
sitzt mir am Knie und ich weiß nicht wie
pikst einmal hinein als müsste es sein.


ein opalfarbenes Gedicht:
So hoch vom Wolkenthrone hob
die Sonne sich empor.
Der Donner zog zum Horizont,
nun ist es wie zuvor.
von opal nach gelb:
Noch Wolkenwand an Wolkenwand,
ein Wolkenmarathon.
Der Donner im Zenit grad stand
und torkelt jetzt davon.
Die Sonne linst durchs Wolkenloch,
holt einen Eimer Licht.
Und gießt ihn dann ganz liebevoll
mir mitten ins Gesicht.


ein braunes Gedicht:
Ruhig schaust du auf den Fluss,
lupfst die Flasche mit dem Sprudel.
"Wasser ist ein Hochgenuss",
rufst du grundlos zu dem Strudel.


ein graues Gedicht mit Silbertupfen:
Alte Hasen tragen Jacken,
haben an den Ohren Macken.
Graben Samstags mit dem Löffel
Abraumhalden ab, die Töffel!


ein hellblaues Gedicht:
Elf Elefanten steh'n an der Ecke.
Es redet stets jemand. Zu welchem Zwecke?
-
Sie reden das Beste vom letzten Feste:
Es treffen bei Regen elf Elefanten ein.
An jener Ecke steh'n sie reglos
-
und beten zwecks Sonnenschein.