Dirk Strauch
- geboren 1972, lebt in Burgdorf
- war in den 90ern Herausgeber der Literaturzeitschrift „Vogelfrei“, und bis 2009 der Edition Elf
- Betreiber des Sonett-Forums unter forum.sonett-archiv.com
- seit 2007 Mitglied der Gruppe Poesie
Literarischer Schwerpunkt ist die Sonettdichtung in eigenen Versen und Übersetzungen aus verschiedenen Sprachen.
Gläserrücken
Wir aßen und tranken als du (hochnotpeinlich!)
mein Wasserglas (oder war's Tee?) mitbenutztest
und grade das Glas angesetzt, schreckend stutztest,
du aufstandest und mir, im Übermaß reinlich,
mein Trinkgefäß gleich wieder sorgfältig putztest.
Ich sagte noch etwas; Ich weiß nicht - wahrscheinlich:
"Ich bin in dem Punkt nicht so fürchterlich kleinlich."
und wünschte mir nur, daß du mich so beschmutztest.
Doch heute, ich glaub es kaum, nun nimmst du endlich
mein Weinglas und nippst dran; ich staune und gucke:
Der Wechsel der Gläser ist offen erkenntlich!
Da nimmst du, weil's schmeckt, dir nochmal ein, zwei Schlucke
und hältst es inzwischen für ganz selbstverständlich.
Und ich? Ich berausch mich am Wein - und an Spucke.
Wie sag ich es? - Ich würde gerne wissen,
wie Du wohl aussiehst mit zerzausten Haaren.
- und nicht nur wissen, würd' es gern erfahren:
Rollst Du dich ein? Zerwühlst du deine Kissen?
ich spürte deinem Atem nach, der warm
mich streift und deine Züge würden milder,
stützt du den Kopf in meinen Unterarm.
So vieles gäb's für mich noch zu entdecken:
Ich zählte alle deine Leberflecken
und prägte sie mir ein wie Sternenbilder.
Wie sieht das aus, musst du in Träumen lachen?
Find ich die Worte und den rechten Ton?
Wie sag ich es? Vermutlich weißt du schon:
So gern umfinge ich dich beim Erwachen.
Residenzplatz - 13
Ein Teenie-Flaum ziert dort das Konterfei:
"Ein Jahr noch, dann verlasse ich dies Kaff.
Ich werde es dir zeigen, dass ich 's schaff'
und du kommst mit. - Dann sind wir endlich frei!"
Sein Mädchen ist noch nicht ganz überzeugt,
ob sie das will. Er wird sie bald vergessen.
Sie sagt: "Ich habe heut noch nichts gegessen."
und schon hat er sich ihrem Wunsch gebeugt.
Sie stehn ja auch direkt vorm Aladin.
"Die besten Döner, westlich von Berlin!
Die Tüte wirft er auf die Straße, - Schade...
Er sieht 's an ihrem Blick. - Das nervt! - und stumm
schaut er sich auf dem Residenzplatz um,
hohlwangig, viel zu lässig und malade.
HBF 1 & 2
Flecken auf der neuen Glasfassade
von Vogelkot und fetten Bratwurstfingern.
Dahinter schweift der Blick den jungen Dingern
ins Dekolleté... - Ein Wisch - und weg... Gerade
kam wieder dieses Bild: Ein Lichtreflex
und eine Silhouette an der Scheibe, -
die Schliere, der verschmierte Mayo-Klecks -
sieht der nicht auch genauso aus? Beileibe!
es ist o.k. wenn er heut Scheiben putzt.
Er steigt nie wieder in den Führerstand.
Die Fragen "Warum ich" und "Wem es nutzt"
sind ohne Antwort abgehakt. Die Hand
wischt schnell die Geister fort. Nichts mehr zu sehen.
Wie tote Blätter treiben draußen Krähen.
Wie tote Blätter treiben draußen Krähen,
sind bei der nächsten Zugeinfahrt zerstoben.
Wenn an der Bahnsteigkante Kinder toben
gefriert sein Herz. - Er kann sowas nicht sehen. -
Noch immer nicht - Die früheren Kollegen
schau'n gerne mal vorbei auf einen Schwatz.
Anfängliche Betroffenheit hat Platz
gemacht für Smalltalk. Nichts hilft besser gegen
die ewige Erinnerung: Ein Schatten -
dumpf ein Schlag - verfolgen ihn ins Grab.
Nur die, die einen vor der Scheibe hatten
seh'n hinter sein Gesicht - und sie verstehen.
Und wieder landet dieser Pulk von Krähen;
Sie setzen sich am kalten Bahnsteig ab.
Inschallah
2016
Heut' über diesen Weihnachtsmarkt zu gehen...
Ist's Neugier? Ist's Entsetzen? Bürgerpflicht?
So ganz genau weiß es auch Karim nicht.
Vielleicht geht er, um selber zu verstehen,
was hier passiert ist, auch in seinem Namen.
In seinem Namen? denkt er, und erschauert.
Still ist's. Je länger diese Stille dauert,
je kälter wird ihm. Wut steigt auf. Zwei Damen,
die ihn so vor den Kerzen stehen sehen,
verkrampft vor Kälte und mit Zornesfalten,
erschrecken ihn. Wofür muss man ihn halten?
nein, tun sie nicht. - Sie wünschen ihm sogar
ein frohes Fest. - Nur im Vorübergehen -
"Und Frieden!". denkt bei sich - "Inschallah!"
Amokalarm
2018
Drei Polizeifahrzeuge sperren die
Malmöer Straße; An der Schivelbeiner
noch mehr Blau-Weiß. Ins Cafe Kraft kommt einer
der Polizisten: "Große Scheiße, wie!?",
bestellt sich einen Latte auf die Hand.
Dort macht sich wer am Flatterband zu schaffen,
doch locker unterm Arm mit schweren Waffen,
bringt ihn ein Mann in Schwarz schnell zu Verstand.
Ein Gassigänger und zwei Fahrradfahrer,
ein Mann mit Kind im Arm: Verschiedne Münder,
doch stellen sie die immer gleiche Frage.
Die Antwort: "Bleimse hier, det is jesünder."
Nach einer Stunde knapp wird dann die Lage
beruhigt und für Aussenstehnde klarer.
Mohn
Des Sommers Sache ist es nicht zu geizen;
Die Luft steht auf den Äckern still und flirrt.
Ein kurzer Schauer wird sofort pariert,
die erntereifen Felder aufzuheizen.
Gefiedert streut sich Klatschmohn ins Geviert;
Sie Sonne brennt und ihre Strahlen beizen
die Flur ringsum. Satt, goldgelb steht der Weizen
als ihm zur Fruchtzeit neue Blüte wird.
Die prallen Knospen springen und karmin
entblättert wolkig sich der Seidenbausch.
Für all die Wärme, die er sich geliehn,
ergibt der wilde Mohn sich selbst zum Tausch;
Bald läßt er seine Blütenblätter ziehn.
Verkapselt reift des nächsten Jahres Rausch.
Altherrensommer
Die Sonne fällt zur Zeit in bunten Streifen
durchs Laub. Ich widersteh', es live zu bloggen, -
seh andern zu beim walken, skaten, joggen.
Den Kragen hoch, lass ich die Blicke schweifen:
Der Mähdrescher konnt' längst nicht alles greifen,
was gelb am Rain stand. Im nun schwarzen Roggen
spannt sich ein Spinnennetz. Die Klatschmohndoggen
geknickt und aufgepickt, die überreifen
geplatzten Trauben vor den Landgasthöfen,
verschmähen, wie es scheint, sogar die Stare.
Sind die schon fort? So muss es sein. und siehe:
Ein Steinwurf weiter qualmen schon die Öfen
und würzig legt der Rauch sich in die Haare.
Ich sollte auch mal joggen, doch - die Knie...
Ottilie Reylaender
1882 - 1965
Beta nackt
gesehen im Landesmuseum Hannover
Ottilies Mienenspiel: grad noch vergnügt,
im nächsten Augenblick hoch konzentriert.
Wo schaut sie grade hin? Ihr Blick verliert
sich in der Ellenbeuge, - ach es lügt
dies Licht! Nochmal: Der Pinsel korrigiert
den Schatten. - "Beta! Du hast dich bewegt!"
Ottilie zögert kurz und überlegt:
"Nun ja, - Die Armkontur ist eh verschmiert..."
Da muß sie nochmal ran. Doch Beta hasst
die Regungslosigkeit, es piekst der Bast
und außerdem wird ihr allmählich kalt.
Könnt' man doch wenigstens 'nen Blick stibitzen!
Wann wird sie fertig? Immer heißt es: "Bald!"
Wie lange muss sie noch so stille sitzen?
Käthe Kollwitz
1867 - 1945
Weberzug
gesehen im Sprengel-Museum Hannover
Ihr Blick nach vorn ist trübe, wie belegt;
Sie laufen, jeder doch für sich alleine
im großen hoffnungslosen Treck und eine
gebeugte Frau, zu früh gealtert, trägt
ihr müdes Kind. Links hinter ihr der Mann
trägt seine Sense wie das Kreuz, derweil
ein andrer sinken lässt den Mut, das Beil
wird schwer in seiner Hand und doch: Voran!
Sie haben hier nichts weiter zu verlieren
als dieses elendige Leben: Vorn
ballt eine hagere Gestalt die Faust.
Nur aus den Reih'n der jungen Männer braust
vereinzelt und abrupt der kalte Zorn. -
Der Alten Antlitz scheint schon zu erfrieren.
Lovis Corinth
1858 - 1925
Paddel-Petermannchen
Mein liebes Petermannchen, wie du schaust,
du dich (und mich) bewegst, dein sanftes Strahlen
vor diesem Hintergrund: ich will es malen.
Trotz Hut ist dir vom Wind das Haar zerzaust. –
So solltest du es vielleicht öfter tragen.
Ich bin befangen. – Schönheit liegt im Blick
des Schauenden, doch siehe selbst: Der Schlick
am Strand sogar erlaubt kein Hinterfragen.
Er weiß um diese tiefe Harmonie
mit dem moment und passt die Farben an.
Auch er schaut schon verliebt und weiß doch kaum
etwas von dir als nur den Kleidersaum.
…und Wellen über Wellen landen an.
Auch mich zieht es zu Dir, genau wie sie.
Wander Bertoni
geb. 1925
Metallskulptur im Stuttgarter Schloßpark
So greife um dich, steige auf und wachse,
wie diese Linie sich angeschickt
zu wachsen, unversehens in sich blickt
und kreist um eine unsichtbare Achse.
Dort wo die grade Linie plötzlich knickt,
für jeden greifbar aufscheint ihre Schwäche,
wächst sie um neue Dimensionen: Fläche -
und schließlich Raum. Mit sich im Reinen nickt
die Linie sich selber zu und liebt
den Punkt, den sie nicht kennt, und doch umkreist.
Die Kraft, die jedem seine Richtung weist,
bleibt uns so wenig fassbar wie der Tanz;
doch schafft das Unbegreifliche Substanz,
fragt niemand, ob es diese Achse gibt.
Email: marcus.neuert@gmail.com
Tel.: 0571-8297900